Kitas – Von der „Bewahranstalt“ zur Bildungsstätte?

Dr. Salman Ansari

Die Anforderungen an Erzieherinnen sind in den letzten Jahren stetig gestiegen, die Rahmenbedingungen dagegen ungleich schwieriger geworden.

Früher oft nur als Verwahranstalten verstanden, sollen sich die Kitas von heute zu Bildungsstätten entwickeln, die entscheidende Weichen für die Entwicklung und den späteren Bildungsweg von Vorschulkindern stellen. Dabei ist die Regelungspraxis verwirrend vielfältig, erscheint unpräzise formuliert und beliebig, die faktischen Bedingungen variieren von Bundesland zu Bundesland.

Es mangelt nicht an Grundlagenforschung, engagierten, hoch motivierten Erzieherinnen, Initiativen, Ratgebern, Ideen, Vorschlägen, Versuchen mit Reggio- oder Freinet-Pädagogik u.v.a.m. Es mangelt jedoch an entlastenden, klar durchdachten und fundierten Strukturen und Planungen, an Anwendung von Hintergrundwissen, an Leitlinien, die die Kindergärtnerinnen dabei unterstützen könnten, sich den ohnehin schon schwierigen Anforderungen unserer komplexen Wirklichkeit souverän gewachsen zu fühlen. Anforderungen wie z.B. der Umgang mit sprachlichen und kulturellen Barrieren, die unterschiedlichen Erwartungen der Eltern, die Einstellung auf flexiblere Betreuungszeiten, um sich an den Arbeitsrhythmus der Eltern, oft nur einer alleinerziehenden Mutter, anzupassen.

Die Forschungsergebnisse der Kognitionspsychologie und der Hirnforschung haben in den vergangenen Jahren mit Hilfe der neueren bildgebenden Verfahren einige Erkenntnisse darüber gewonnen, wie Lernen funktioniert, welche Bedingungen Bildungsprozesse fördern und welche sie behindern und haben dadurch die Arbeit in den Kitas ins Scheinwerferlicht gerückt. Nie wieder ist der Mensch so aufnahmefähig und bereit, die Welt mit seinem ganzen Körper und mit allen Sinnen offen und unbefangen zu erfahren wie in den frühen Jahren.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Robert Bosch Stiftung und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände haben in Anschluss an den am 20. September 2006 unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel stattgefundenen Kindergipfel „Kinder bilden! Deutschlands Zukunft“ ein Memorandum veröffentlicht, das Konzepte für die frühkindliche Bildung enthält.

Die einzelnen Leitpunkte lauten:

http://www.kas.de/wf/doc/kas_9137-544-1-30.pdf?060920132826

Das sind klare, sinnvolle Forderungen, die für jeden nachvollziehbar sind. Hat man sie inzwischen umgesetzt? Greifen wir nur einmal den ersten Punkt auf. Es leuchtet unmittelbar ein, dass Fachkräfte für diese verantwortungsvollen Aufgaben in den ausschlaggebenden Jahren der Kinder bestmöglichst ausgebildet und entsprechend gut bezahlt werden sollten.

Die Wirklichkeit sieht allerdings ganz anders aus. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen sind Erzieherinnen benachteiligt und genießen nicht die Wertschätzung, die ihnen – gemessen an ihren Aufgaben – zukommt.

Dass Männer in diesem Beruf nur selten zu finden sind (über 90% sind Frauen) ist sicher eine der Folgen dieser Situation. Bei annähernd eineinhalb Millionen alleinerziehenden Müttern sind viele Kinder somit in der Hauptsache von Frauen umgeben. Es besteht ein gravierender Mangel an männlichen Bezugspersonen.

Eine weitere überaus wichtige Forderung im Zusammenhang mit der Forderung nach Chancengleichheit in diesem Katalog ist der Punkt „Beitragsfreiheit einführen“. Wie weit sind wir denn damit gekommen?

Derzeit werden vorrangig Exzellenz-Universitäten gefördert; Milliarden stehen bereit. Studiengebühren sind bis heute heftiger umstritten als die Gebühren für Kitas. Das Pferd wird gewissermaßen am Schwanz aufgezäumt.

Doch vielen ist mehr oder weniger bewusst, dass sich die Zukunft unserer Kinder nicht noch länger vertagen lässt. Was also tun? Was möglich ist, möchte ich am Beispiel einer Initiative der Stadt Offenbach zur Förderung der Fachkräfte ihrer Kindertagesstätten erläutern, deren Arbeit noch eine besondere Herausforderung dadurch darstellt, dass der Anteil von Migrantenkindern extrem hoch ist, in einigen Kitas an die 90%. Damit die deutschen Kinder und die Kinder aus aller Welt sich in den Offenbacher Kitas angenommen, aufgehoben und gefördert fühlen können, hat der Eigenbetrieb der Stadt sich ein Qualifizierungskonzept für das pädagogische Personal ausgedacht, das aus meiner Sicht in der deutschen Bildungslandschaft beispielhaft ist.

Eine Bürgermeisterin handelt, ein Projekt mit folgenden Bausteinen wird 2009 auf den Weg gebracht:

  1. Dialogische Entwicklungsförderung
  2. Kindliche Entwicklung und Sozialisation
  3. Lernprozesse – Entwicklung
  4. Selbstbildungsprozesse in Kindergruppen
  5. Vorurteilsbewusste Erziehung
  6. Arbeit mit Eltern, wenn der Umgang schwierig wird
  7. Der Raum als dritte pädagogische Kraft
  8. Literacy und Sprachförderung
  9. Naturwissenschaften – Das Kind als Forscher
  10. Künstlerisches und musisches Gestalten

Den sogenannten „Kernstrang“ bildet die „Pädagogische Begleitung“ durch das „Institut für Bildungswissenschaften“ der Universität Wien, die den Prozessen psychologisch mit Rat und Tat zur Seite steht. Jeder Baustein wird von hochqualifizierten Fachkräften begleitet.

Schon seit einiger Zeit macht der Begriff „Frühförderung“ die Runde, und sogleich (miss)verstehen manche darunter z.B. das frühe Erlernen von Fremdsprachen, von „akademischen Fertigkeiten“ wie Schreiben und Rechnen o.ä. Das Recht der Kleinen, ohne pädagogische Instruktion aufzuwachsen, ist für einige der Verantwortlichen bloße Zeitverschwendung. Da gibt es auch gleich eine Fülle von Zeitschriften, Büchern, Experimentierkästen, von Projekten und Einrichtungen, die Rezepte für naturwissenschaftlichen Unterricht in Kitas anbieten.

Die Verantwortlichen argumentieren, dass es angesichts der PISA–Studie dringend notwendig sei, Naturwissenschaften bereits in Kitas einzuführen.

Wenn neuerdings mehr Frühbildung gefordert wird, muss man sich die Frage stellen, was eigentlich damit gemeint ist. Forschungsergebnisse der kognitiven Wissenschaften belegen, dass kleine Kinder zu einer sehr breitgefächerten Aufmerksamkeit fähig sind. Sie „… eignen sich Informationen über jedes interessante Ereignis, das sie beobachten, also geradezu gierig an, egal ob sie nützlich und wichtig zu sein scheinen oder nicht.“ (Gopnik, Alison (2010) Kleine Philosophen, S.44, Ullstein)

Kleinkinder sind demnach nicht in der Lage auszuwählen und die Bedeutung und Wertigkeit des Lernangebots dahingehend zu beurteilen, welches Lernen für ihre geistige und seelische Entwicklung sinnvoll ist. Aus diesem Grund haben die Kitas eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht, den Alltag zu strukturieren und eine Lernumgebung zu schaffen, die die Kinder in ihrer natürlichen Entwicklung unterstützt, ihre individuellen Anlagen erkennt und diese mit geeigneten Maßnahmen fördert.

Im Rahmen des Bausteins „Das Kind als Forscher“ beschäftige ich mich in dem Offenbacher Projekt mit der Aufgabe, Konzepte zu entwickeln, die die Kinder auf der Grundlage von kommunikativen Prozessen befähigen sollen, selbstständig und selbstbewusst an die Dinge heranzugehen und dabei mit ihnen zusammen zu entdecken, was in ihren Köpfen steckt.

Was mir wichtig ist:

Die Kindheit ist – wie schon erwähnt – eine bedeutende Zeitspanne in unserem Leben. Im glücklichsten Fall ist sie durch eine kreative Wechselwirkung zwischen den individuellen Bedürfnissen der Kinder und der Vermittlung von Erfahrungen, von Sprach- und Sozialkompetenzen gezeichnet, die letztlich den Grundstock für die kognitive und seelische Bewältigung von zukünftigen schulischen Herausforderungen bilden. Mithin sind die Kindergärten und Kitas vermutlich die einzigen Orte, die sehr vielen Kindern die Begegnung mit anderen Kindern, das gemeinsame Spielen, die Bewältigung von Konflikten, das Entdecken und Entfalten von eigenen Gefühlen, das Hinnehmen von Frustrationen, das Zurückstellen eigener Wünsche, die Wahrnehmung der Eigenarten des Anderen ermöglichen. In diesem Mikrokosmos hat jedes Kind potenziell die Chance zu erfahren, was die anderen Kinder mit ihrem Tun und Sprechen meinen und wie es sich selbst in neuen Situationen verhalten und begreifen kann.

Kindergärten sind somit auch Orte, wo jedes Kind im Zusammensein und Zusammenspiel mit anderen Kindern die Fähigkeit entwickeln kann, über seine Sprache und sein Denken zu reflektieren. Meiner Meinung nach ist die Beschäftigung mit den Phänomenen der Natur in diesem Alter nur in einem dialogischen Prozess zu verwirklichen. Der Dialog ist ein Vorgang der personalen Begegnung, der uns hilft, zu erfahren, welche Vorstellungen Kinder haben. Wir erleben dann, wie sie über ihre Erfahrungen reflektieren und welche Aspekte ihrer „Weltbegegnung“ ihnen rätselhaft erscheinen. Sie sollten bei allen Tätigkeiten ermutigt werden, ihre Meinung zu artikulieren, Vermutungen anzustellen, Erlebnisse zu verbalisieren, Theorien und Hypothesen zu bilden, Modelle zum Nachprüfen vorzuschlagen. Wenn der Dialog über eine Problemfrage gelingt, denken sich die Kinder selbst die für sie nachvollziehbaren und passenden Experimente aus.

Dies ist eine wichtige Aufgabe der Erwachsenen und in ihrer Bedeutung für den Bildungsprozess der Kinder kaum zu überschätzen. Sie ermöglicht, die potenziellen Fähigkeiten der Kinder zu erkennen und sich zu überlegen, wie man sie mittels geeigneter Aufgaben vertiefen oder auch korrigieren könnte. Naturwissenschaftliches Forschen ist ein allmählich fortschreitender, Geduld erfordernder Prozess, keine Überraschungspädagogik.

Für kreatives Zusammenarbeiten kann es kein allgemein gültiges Curriculum geben. Die Alltagswirklichkeit der Kinder ist das eigentliche Curriculum. Wir sollten uns davor hüten, das Nachmachen von Experimentiervorlagen und „Praxisideen“, die heute von Verlagen, Stiftungen usw. unter der Rubrik „Frühkindliche Förderung“ angeboten werden, mit Bildung zu verwechseln. Es reicht, wenn wir selbst lernen, über Naturphänomene zu staunen. Die Alltagswirklichkeit bietet genug, das auf seine Entdeckung wartet. Es sind die alltäglichen Bilder und Orte, die Kinder einladen, genauer hinzusehen, Aspekte zu entdecken, die ihnen rätselhaft erscheinen und zu vielfältigen Fragestellungen herausfordern. Flora und Fauna, der Teich und der Wald, das Bächlein, die Sträucher und die Pflanzen, ein Vogelnest, ein Spinnennetz, eine Raupe und ein Schmetterling, eine Kröte, eine Schnecke, ein Haustier, vermodernde Baumäste, Steingärten, trockene Mauern, die Eigenarten von Jahreszeiten, Schnee, Nebel, Regen, Kälte und Wärme, Kochen und Backen, der Löwenzahn, die Brennnessel, die Taubnessel, die Bienen im Frühling und die bestäubten Blumen, die Pilze im Wald, die Wiesen und Parks, der Sternenhimmel, das Abendrot, die Schatten der Objekte, das Dunkel und das Helle, der eigene Körper, die vielen Kindergeschichten, Märchen und Sagen. Auch Zahlen können dabei immer wieder unauffällig einfließen, bei den Zutaten zum Backen u.a.m. All dies und vieles mehr kann das Denken der Kinder, ihre Fantasie anregen und sie ermutigen, Fragen an die Natur der Dinge und Zusammenhänge zu stellen. All dies kann den Kindern auch dazu verhelfen, Widersprüche ihres Weltverständnisses zu erfahren und ihre vorhandenen Konzepte zu verändern, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen (8). Somit können sie über die Bewusstheit der äußeren Welt allmählich die Bewusstheit der inneren Welt erlangen, d.h. ihres Denkens bewusst werden. Denn Staunen löst Fragen aus und regt das Nachdenken sowie das Ordnen unserer Erfahrungen an. Dies meint auch Martin Wagenschein, den ich im Folgenden zitiere:

„Wir müssen verstehen lernen! Das heißt doch nicht, es den Kindern nachweisen, so dass sie es zugeben müssen, ob sie es nun glauben oder nicht. Es heißt: Sie einsehen lassen, wie die Menschheit auf den Gedanken kommen konnte (und kam), so etwas nachzuweisen, wie die Natur es ihr anbot (und weiter anbietet), und wie es dann gelang und je neu gelingt.“

Die Lehrenden sollten lernen, sich auf ihre eigene „Welterfahrung“ zu besinnen, damit es ihnen gelingt, unbefangen wie die Kinder zu denken. Die Dialoge mit den Kindern werden nur gelingen, wenn wir uns von einem Denken verabschieden, das nur die akademisch geprägten Interpretationen der Natur als gültig erachtet und uns suggeriert, dass seine Deutungsmuster der Wirklichkeit die Wirklichkeit selbst abbilden. Haben wir nicht in der Schule unendlich viel erklärt bekommen, Regeln, Formeln, Lehrsätze gelernt und können dennoch später nicht auf all die Erklärungen zurückgreifen, um Wirklichkeitsphänomene zu verstehen oder gar sinnvoll zu deuten? Es ist Wissen aus zweiter Hand geblieben und ist folgerichtig zu inertem Wissen erstarrt, d.h. ein Wissen, das wir nicht abrufen und vernetzen können.

Noch eine kleine Anmerkung im Zusammenhang mit dem Offenbacher Projekt: Als sehr hinderlich bei meiner Arbeit empfinde ich beispielsweise die „Angst vor Mama und/oder Papa“, wenn Kinder sich z.B. beim Spielen nass machen, ihre Kleidung beschmutzen, zerreißen o.ä. Hemmend wirkt auch die Einschränkung ihrer Selbstständigkeit durch übertriebene Vorsicht der Erwachsenen, anstatt darauf zu vertrauen, dass Kinder von Natur aus den Drang haben, die Dinge ganz alleine zu lernen, was Risikobereitschaft und Geduld voraussetzt. Dies deutlich zu erkennen, ist bereits der Beginn einer kindgemäßen Frühförderung. Kein Kind könnte je laufen lernen, wenn die Eltern nicht in Kauf nähmen, dass es bei diesem Lernprozess fallen und sich weh tun kann. Wie der Hirnforscher M. Spitzer so schön sagt: „Ein Baby lernt also das Laufen nicht durch Instruktion, sondern von Fall zu Fall.“

Ich plädiere daher beim Eintritt in den Kindergarten für einen Vertrag zwischen Eltern und Erzieherinnen, in dem festgehalten wird, dass solche Dinge eben passieren und nicht beanstandet oder sogar bestraft werden dürfen.

In Offenbach werden die potenziellen Fähigkeiten der Kinder, als „Forscher“ (Kinder sind von Natur aus Forscher) zu agieren, wie schon gesagt, wahrgenommen, doch woanders erlebe ich immer wieder, dass Erzieherinnen Kindern chemische und physikalische Experimente vorführen, die sie selber nicht richtig interpretieren können. Diese Unsicherheit hindert sie daran, die Kinder und ihre Vorstellungen wirklich wahrzunehmen und sie in einem dialogischen Prozess am Geschehen zu beteiligen. Folgendes exemplarische Beispiel möge dies näher erläutern. In einer Kita hatte die Erzieherin sich vorgenommen, Kindern die Phänomene von „Schwimmen und Sinken“ verständlich zu machen. Sie hatte dazu mehrere Gegenstände und ein kleines Aquarium mitgebracht. Die Gegenstände wurden auf die Oberfläche des Wassers gelegt. Die Kinder konnten korrekt zwischen „Schwimmern“ und „Nichtschwimmern“ unterscheiden. Als sie dann eine Fischfigur aus Kunststoff auf die Oberfläche legte und fragte, ob der Fisch schwimme oder sinke, meinte ein Kind, dass der Fisch nicht schwimme. Zwei weitere Kinder schlossen sich dieser Behauptung an. Diese unerwartete Bemerkung der Kinder brachte die Erzieherin völlig aus dem Konzept. Auch als sie insistierte, dass der Fisch doch schwimmen würde, genauso wie ja auch andere vorher benutzte schwimmende Gegenstände, blieben sie bei ihrer Auffassung. Schließlich fragte ich die Kinder, weshalb sie meinten, dass der Fisch nicht schwimme. Ihre Antwort lautete: „Weil er nicht unter Wasser ist und sich nicht bewegt“. In der Tat. Keine Fischart schwimmt auf der Wasseroberfläche. Für die Kinder war der Plastikfisch ein wirklicher Fisch. Kleine Kinder sind eben keine Physiker und denken nicht in diesen akademischen Kategorien.

Dies zu meinem Anteil am Offenbacher Projekt, nur ein Baustein unter zehn anderen als Beispiel für altersgemäße Möglichkeiten von Frühförderung. Man muss da nichts Spektakuläres auf die Beine stellen, denn für kleine Kinder, die die Welt noch entdecken, ist alles mehr oder weniger spektakulär. Die Möglichkeiten zu ähnlichen Dialogen sind immer gegeben. Mit Naturwissenschaften sind hier eben nicht schulische

Fächer wie Chemie, Physik oder Biologie gemeint, sondern „…sie einsehen lassen, wie die Menschheit auf den Gedanken kommen konnte (und kam), so etwas nachzuweisen, wie die Natur es ihr anbot (und weiter anbietet), und wie es dann gelang und je neu gelingt.“

Mehr Informationen unter: www.salmanansari.info

„Um in unserem Bildungssystem Erfolg zu haben, muss das Kind jedoch die Fähigkeit entwickeln, die Sprache und das Denken selbst zum Gegenstand der Reflexion zu machen.“ (Margaret Donaldson)

Der Baustein Sprachförderung ist natürlich von besonderer Bedeutung und bei allen anderen Bausteinen mitzudenken. In einigen Kitas möchte ich die Kinder am liebsten an die Hand nehmen und mich auf die Suche nach der deutschen Sprache begeben. Wird meine Suche Erfolg haben?

Menschen sind auf Kommunikation angewiesen. Alle von Menschen geschaffenen Systeme und technischen Errungenschaften sind letztlich ein Ergebnis der kommunikativen Interaktion. Das Mittel der Kommunikation ist die Sprache. Je größer die Sprachkompetenz ist, umso besser kann man sich verständlich machen und auch andere verstehen. Für die Denkfähigkeit spielt daher die Sprache eine überragende Rolle. Jedes Kind, das in Deutschland aufwächst, muss daher die deutsche Sprache erlernen und beherrschen. Sonst hat es wenig Aussicht darauf, sich erfolgreich in der Gesellschaft einzurichten. Die Qualität jedes Lernens ist unabdingbar von dem Grad der linguistischen und sozialen Interaktionen mit Eltern, anderen Kindern, Lehrern usw. verbunden. Offensichtlich spielt die Sprache und die soziale Umgebung eine herausragende Rolle für den Erwerb von zahlreichen Kompetenzen wie zum Beispiel Problemlösungsstrategien, Vorstellungsvermögen, die Entdeckung von neuen Zusammenhängen. Projiziert man diese Erkenntnisse auf die Kindergärten, dann müssten alle Aktivitäten darauf hinzielen, die sprachlichen Kompetenzen der Kinder zu fördern. Die Bedeutung der Sprache als Mittel der kognitiven Förderung ist in vielen Kitas nicht hinreichend anerkannt. Alle Kinder haben potenziell die Möglichkeit, die deutsche Sprache akzentfrei zu erlernen und somit bessere Voraussetzungen für eine gelungene Integration zu erlangen. Akzentfrei sprechen kann man jedoch nur dann erlernen, wenn man das Privileg hat, von Anfang an der Fremdsprache auch phonetisch einwandfrei zu begegnen. Dies ist jedoch in vielen Kitas in Offenbach und auch in anderen Bundesländern nicht der Fall. Dennoch wäre es durchaus möglich, dass Kinder jeden Tag in akzentfreiem Deutsch Geschichten vorgelesen bekommen, Kinderhörspiele hören, kleine Alltagssituationen als Kindertheater aufführen, sich verkleiden und somit in Fantasierollen hineinwachsen können, die sie dann auch verbalisieren. Viele Kitas könnten es noch intensiver wagen, Sprachwelten entstehen zu lassen und somit auch die Vernetzungsprozesse im Gehirn zu begünstigen.

„Musik ist die versteckte arithmetische Tätigkeit der Seele, die sich nicht dessen bewusst ist, dass sie rechnet“ (Gottfried Wilhelm Leibniz)

Ich möchte zum Schluss noch auf den Baustein 10 „Künstlerisches und musisches Gestalten“ hinweisen. In Offenbach hat man sinnvollerweise die Jugendkunstschule und die Musikschule der Stadt für dieses Projekt hinzugezogen

Wo findet man die Musik in den Kitas? Auch sie ist häufig abwesend und muss von den Kindern erst entdeckt werden. Kinder haben ein natürliches Empfinden für Rhythmus. Musik selber machen, schult das akustische Differenzierungsvermögen und trägt zur Ausbildung von sozialen Kompetenzen bei. Etwas zusammen zu tun, im Einklang zu sein macht einfach Spaß. Die Hirnforschung hat herausgefunden, dass – salopp gesagt – beim Musizieren die Fenster für Angst im Gehirn abschalten und die Fenster für Belohnung angehen. Allein die Tatsache, dass Singen, Tanzen, mit einfachsten Mitteln Musik machen zum seelischen Wohlbefinden, zur Entspannung beitragen, dürfte ein Grund sein, die Musik sehr viel stärker in den Alltag der Kitas zu integrieren.

http://www.erziehungskunst.de/artikel/das-schoenste-instrument-wer-im- kindergarten-singt-foerdert-alle-sinne/

Es mangelt, wie schon anfangs gesagt, nicht an Beobachtungen, Vorschlägen, nicht an glänzenden Ideen, sondern es mangelt an einer flächendeckenden Umsetzung. Ein Bildungssystem mit Ländergrenzen, die eine arbeitsentlastende Zusammenarbeit verhindern, ist komplex und schwerfällig, überlässt die Fachkräfte in den Kitas oft sich selber und überfordert sie damit. Das Offenbacher Projekt könnte beispielsweise durchaus bundesweit als eine Art Pilotprojekt für Kitas dienen. Die Gelder und die Energie, die hier eingehen, die mannigfaltigen, wertvollen Erfahrungen, die gemacht werden, könnten leicht für andere Kitas genutzt werden, Wellen schlagen, als Modell dienen. Aber wer erfährt schon von solchen Projekten, die dann weiter im Verborgenen blühen und stets in Gefahr sind, im Laufe der Zeit und durch wechselndes Personal in Vergessenheit zu geraten.

Immer wieder hört man – z.B. aus Berlin – von Schulen, die schon so gut wie am Ende waren und vor der Wahl standen, entweder zu schließen oder sich neu zu orientieren und die sich dann unter Aufbietung der letzten Kräfte für Letzteres entschieden haben. Die Mühen und der Energieaufwand, die damit einhergehen, dass jede Schule jeweils allein für sich einen Weg suchen muss, wären dabei leicht für andere dringliche Aufgaben nutzbar. Dass Lehrer und Erzieherinnen sich oft so überfordert fühlen, liegt aus meiner Sicht an diesem „Einzelkämpfer- Phänomen“.

Anscheinend ist die Bundesrepublik historisch jedoch so sehr durch die Kleinstaaterei geprägt und eingeengt, dass andere übergreifende und entlastende Möglichkeiten gar nicht erst ernsthaft in Betracht gezogen werden können. Inzwischen, so fürchte ich, wird man mit dem, was zur Verfügung steht, irgendwie zurechtzukommen und weiterhin für eine Fortbildung kämpfen müssen, die über die Stadt, in der man lebt, über den Kreis und die Ländergrenzen hinaus wirkt.