Von den Bedingungen menschlicher Kooperation

Artikel von Jochen Schilk
Unter den Affen sind wir Menschen die kooperativsten. Das meint der Entwicklungspsychologe Michael Tomasello, Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, in einem jetzt in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Interview.
Die menschliche Neigung zur Kooperation brauche aber bestimmte Voraussetzungen, ansonsten käme der ebenfalls veranlagte Egoismus bei uns durch. So verhielten sich Menschen dann besonders sozial, wenn »Nutzen und Lasten, Rechte und Pflichten« in der Gesellschaft fair verteilt seien.
Tomasello: »Fairness ist eine Voraussetzung für Zusammenarbeit. Die zweite ist: Die biologischen Wurzeln der Kooperation liegen in der Gruppe – und das hat Folgen. Wenn man sich heutige Jäger-Sammler anschaut, fällt auf, dass sie alle sehr egalitär sind. Die Mitglieder teilen erwirtschaftete Nahrung, privater Besitz dagegen zählt kaum etwas. Aber seit der Erfindung der Landwirtschaft vor gut 10 000 Jahren haben wir begonnen, in riesigen Städten mit vielen Menschen, Sprachen, Religionen und Kulturen zu leben. Diese Umgebung stellt diese kooperative Grundeinstellung auf die Probe. Je weiter man sich von seiner Kerngruppe wie etwa der Familie entfernt, umso schwieriger wird es, das Miteinander aufrechtzuerhalten.«

Kooperation über große Räume, so Michael Tomasello weiter, könne es nur geben, wenn Menschen das Gefühl haben, zu einer großen Gruppe zu gehören. Der SZ-Journalist Werner Siefer erwähnt daraufhin, dass Berechnungen des Evolutionsbiologen Robin Dunbar zufolge Jäger-Sammler-Gemeinschaften einst aus rund 150 Personen bestanden hätten.
Das menschliche Hirn habe damals gelernt, soziale Gefüge dieser Größenordnung zu meistern. Siefers Frage an Tomasella »Bewältigt dieses Organ auch sieben Milliarden Menschen?« möchte ich gerne hinzufügen: »Sind wir Menschen überhaupt zu einem globalen Bewusstsein fähig, das die Identifikation mit der gesamten Menschheit beinhaltet? Oder scheitert unser Gehirn bereits bei der Aufgabe, sich mit den Bevölkerungsmassen von Städten so zu identifizieren, dass wir uns sozial verhalten?«
Der aus den USA stammende Entwicklungspsychologe Tomasello antwortet Siefer im Interview folgendermaßen: »Es würde uns leichtfallen, etwa beim Klimaschutz zu einer Lösung zu kommen, wenn die Erde von Invasoren aus dem Weltall bedroht werden würde. In diesem Fall verstünden wir uns leicht als ein Jagdtrupp mit gemeinsamen Interessen. Aber bei den aktuellen Problemen [er meint hier auch die Finanzkrise] können wir nicht auf andere deuten, die an allem schuld sind. Wir haben uns die Suppe selbst eingebrockt.«
Zum ganzen Interview in der Süddeutschen Zeitung geht es hier.
Tomasello, Preistträger des J. Jacobs-Forschungspreises 2011, hat auch herausgefunden, dass bereits einjährige Kleinkinder, die noch nicht sprechen können, kooperieren und anderen Kindern helfen. Auf der Website der Jacobs-Foundation heißt es dazu weiter: »Dieses Verhalten existiert ohne Erziehungseinwirkung durch Erwachsene. Tomasellos vergleichende Forschung über das kommunikative Verhalten und die Lernprozesse bei Kindern im Vorschulalter einerseits und Menschenaffen andererseits belegt, dass der Mensch zur Kooperation geboren ist, und dass er sich darin primär vom Affen unterscheidet.«
Auf der erwähnten Website gibt es u.a. auch ein Video über Tomasellos Forschungsarbeit.
Der Artikel:
Von den Bedingungen menschlicher Kooperation geschrieben von Jochen Schilk ist am 06.12.2011 bei OYA erschienen