Von der Natur zur Kultur – und zurück

Ute Schulte Ostermann & Sylva Brit Jürgensen
Beitrag aus der Reihe: Ich und die Welt – Kinder in ihrer Orientierung und Selbständigkeit fördern – Der Natur auf der Spur – Kiga Fachverlag, Bingen 2007 – Artikel überarbeitet und gekürzt –
Natur- und Umwelterfahrung in der frühen Kindheit
Wir haben es geschafft, der Kindergarten ist gegründet. Am liebsten würde ich sofort mit den Kindern im Wald umherstreifen. Dabei mit ihnen die Wunder der Natur erleben, Tiere und Pflanzen entdecken. Wir könnten spielen und Neues erfinden, das wäre ein Spaß – ich als Förster im Waldkindergarten! Aber leider habe ich im Moment noch viele andere wichtige Aufgaben zu erledigen. – Aber vielleicht bald – wir werden sehen! Seid herzlich gegrüßt,
Eurer Peter R.

Diese besonders erfreuliche E-Mail erhielten wir vor einigen Tagen von einem Seminarteilnehmer unserer Weiterbildung. Erfreulich war in diesem Fall, dass der Förster einem neu gegründeten Waldkindergarten die Genehmigung für ein Waldgebiet erteilt hat. Und das Besondere war, dass es sich bei diesem Waldkindergarten um den ersten in Mecklenburg-Vorpommern handelte. Das Bundesland war in dieser Beziehung der letzte weiße Fleck auf der Waldkindergarten-Landkarte in Deutschland.
Nach Aussage der ersten Vorsitzenden des Bundesverbandes für Natur- und Waldkindergärten Maria-Luise Sander gibt es nun bundesweit über 700 Natur- und Waldkindergärten. Frau Sander berichtet weiterhin, dass sich immer mehr Eltern diese Pädagogik für ihre Kinder wünschen. Angeregt durch die Natur- und Waldpädagogik gehen auch Regelkindergärten immer mehr dazu über, Wald- und Wiesenwochen einführen.
Natur – ein Begriff mit vielen Bedeutungen
Was meinen wir eigentlich, wenn wir von Natur sprechen? Heute wird alles das als Natur bezeichnet, was nicht vom Menschen geschaffen ist. Ob der Mensch selbst zur Natur gehört oder nicht, darüber gibt es weder wissenschaftlichen noch gesellschaftlichen Konsens. Allgemein unterscheiden wir zwischen der belebten Natur mit Tieren und Pflanzen und der unbelebten Natur mit Steinen, Flüssigkeiten und Gasen.
Natur … Viele Menschen haben bei diesem Wort die Vorstellung von einer bunten Blumenwiese, zwitschernden Vögeln im Frühling, duftendem Heu, dem rauschenden Bach in einer eindrucksvollen Gebirgslandschaft oder den sanfte Wellen am sonnigen Ostseestrand. Und mittendrin der zufriedene, glückliche Mensch.
Wie unrealistisch die romantischen und einseitigen Vorstellungen von der Natur sein können, zeigen die Nachrichten aus der ganzen Welt: Klimawandel, Tsunamis, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Überschwemmungen und hierzulande das plötzliche Bienensterben oder das Sturmtief Kyrill. Diese Phänomene lassen die Natur in einem ganz anderen Licht erscheinen: Kastrophen, Gewalten, Unglück und Elend. Und mittendrin der hilflose, verzweifelte Mensch.
Von der Natur zur Kultur – ein langer Weg
Wir fragen uns, wo es in der hoch zivilisierten mitteleuropäischen Welt noch so etwas zu finden gibt wie die „unberührte Natur“. Denn bei dem, was heute als Natur bezeichnet wird, handelt es sich genau betrachtet um eine Kulturlandschaft, die der Mensch seit mehr als 400 Generationen aus unberührter Natur entwickelt hat.
Einst war der Mensch ein Teil der Natur. Der Homo sapiens lebte eingebettet in seine natürliche Umwelt und er ertrotzte sich von der Natur, was er zum Überleben brauchte und lernte aus Erfahrungen: Welche Tiere waren gefährlich, welche Pflanzen genießbar, wie hielt man ein Feuer am Brennen?
Im Laufe der Zeit lernte der Mensch, die Natur und ihre Gesetze zu beherrschen und sah sich ihr als kulturelles, wissendes Wesen gegenüber stehen. Er lernte nicht mehr allein aus Erfahrung, sondern auch durch Vermittlung von Erkenntnissen.
Im Mittelalter strukturierte der Mensch die beobachteten Gesetzmäßigkeiten und begründete damit die Wissenschaft von der Natur. Durch weitere Beobachtungen von Naturphänomen erfand der Mensch die Mechanik: Maschinen, die das Leben einfacher machten. Stets versuchte er sein Alltagsleben zu erleichtern und die Versorgung mit Nahrung zu ökonomisieren. Viele Naturphänomene wurden erklärbar und verstehbar und fanden als eigenständige Disziplinen wie Biologie, Chemie und Physik den Weg von den Universitäten in die allgemeinbildenden Schulen.
Bis heute erforscht der Mensch fasziniert die Geheimnisse der Natur. Neue Ergebnisse werfen immer neue Fragen auf, die aufgrund neuer Technologien mittlerweile bis in den Mikrokosmos von Zellen hinein beantwortet werden können.
Stolpersteine auf dem Weg
Doch der menschliche Wissensdurst bewirkte neben den positiven Folgen für das materielle Wohlergehen der Menschheit durch Produktivitätssteigerung ebenso negative Konsequenzen für die belebte und unbelebte Natur. Spätestens mit Beginn der industriellen Revolution am Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die letzten ursprünglichen Naturlandschaften vernichtet. Auch die Zerstörung der Kulturlandschaft griff immer mehr um sich. Nach dem Zweiten Weltkrieg mahnten Naturwissenschaftler und auch Naturfreunde, dass viele Tier- und Pflanzenarten in Deutschland durch diese Entwicklung immer seltener würden und auszusterben drohten. Doch im Hinblick auf das Überleben des Menschen hatte das Überleben einer Lurch-Gattung keinerlei Gewicht.
Nur wenige Experten wussten über das Sterben der Flüsse und Wälder sowie über die Ursachen und die daraus für den Menschen erwachsenden Konsequenzen Bescheid. Weder am bürgerlichen Stammtisch noch an der Universität war die Umwelt ein Thema.
Erkannt wurden die zerstörerischen Umweltphänomene in Deutschland Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Doch erst zu Beginn der 70er Jahre begann der Mensch zu spüren, dass chemische Rückstände und neue Stoffverbindungen in der Kulturlandschaft sowie die starke Zunahme des Straßenverkehrs zu Erkrankungen von Menschen, Tieren und Pflanzen führten.
Betroffen machte auch die Tatsache, dass sich die Umwelt für die Kinder sehr stark verändert hatte. Orte für unbetreute Erfahrungen durch Herumstreifen und Spielen in der häuslichen Umgebung und die damit freie Wahl sozialer Kontakte waren den Kindern weitgehend verloren gegangen. Stattdessen gab es Spielplätze, die funktionsorientiert eingerichtet waren und selten bespielt wurden.
Nun gründeten sich als Gegenbewegung Elterninitiativen mit dem Ziel, ihren Kindern gesündere Umweltbedingungen zu schaffen. Die Idee war, wieder Lebensräume mit Wildnischarakter zu finden, in denen Kinder selbstbestimmt Erfahrungen sammeln konnten. Lokale Bürgerinitiativen und Zukunftswerkstätten bildeten sich. Es folgte die Zeit der engagierten Umwelt- und Ökopädagogik. Nun entstand die Umweltbildung mit Aktionen vom Müllsammeln bis hin zum Umwelttheater.
In den 80er Jahren hielt die Umweltpädagogik Einzug in Schulen und Kindergärten. Jetzt begann für Pädagoginnen, Pädagogen und Kinder eine kreative, aktive Zeit. Zehn Jahre später wurden asphaltierte Flächen von Spielplätzen und Schulhöfen unter der Beteiligung von Kindern und Eltern entsiegelt und kindgerecht umgestaltet. So entstanden Naturspielräume mit vielfältigen natur- und umweltpädagogischen Angeboten für Kinder wie z. B. das eigenständige Gestalten mit Naturmaterialien. Es war die Zeit, in der in Deutschland die ersten Waldkindergärten gegründet und in Regelkindergärten ganzheitliche Naturbegegnungen durch Wald- und Wiesentage initiiert wurden. Es wurde in dieser Zeit viel für Mensch und Natur erreicht.
Eine Kultur ohne Natur?
Zufriedenheit konnte sich dennoch nicht einstellen, da ein Zeitalter neuer Herausforderungen anbrach. Trotz des Bewusstseins für die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und dem Wissen darüber, was unsere Natur und unsere Kinder nachhaltig benötigen, findet heute größtenteils weiterhin Ausbeutung der Natur und Entfremdung von der Natur statt. Jahreszeitliche Rhythmen sind nicht mehr relevant, da Tiere in Ställen leben und nicht mehr ans Tageslicht kommen. Obst- und Gemüsesorten, die saisonabhängig wachsen und gedeihen, können durch Gewächshäuser mit künstlichen Beleuchtungs- und Beregnungsanlagen ganzjährig auf dem Speiseplan stehen. Parallelen zu dieser auf die Wirtschaft ausgerichteten, funktions- und wachstumsorientierten Behandlung von Tieren und Pflanzen finden wir auch im Umgang mit Menschen. Kindliche Spiel- und Erlebniswelten werden verstärkt in Innenräume verlegt. Die Kinder klettern heutzutage am Stadtrand in schlecht belüfteten Indoorhallen mit All-inclusive-Tarifen auf Plastikbergen herum, anstatt nebenan im Wald zu toben. Zuhause besitzen viele auch schon im Kindergartenalter ihren eigenen Fernseher oder PC. Durch den Einzug virtueller Welten ins Kinderzimmer einerseits und die Verplanung der kindlichen Zeit mittels Lern- und Freizeitangeboten durch die Erwachsenen andererseits, werden viele Kinder des neuen Jahrtausends daran gehindert, ihre natürlichen kindlichen Bedürfnisse auszuleben.
Heute steht Kindern ein zwar größerer, aber zerrissener Lebensraum zur Verfügung, aufgeteilt in viele kleine Inseln: Wohninseln, Spiel- und Sportinseln, Einkaufsinseln, Kindergarteninseln, Schulinseln, Freizeitinseln. Diese Insel-Puzzleteile zu einem ganzheitlichen sinnvollen Bild zusammenzufügen, fordert den Kindern zusätzlich viel Kraft ab.
Die Natur des Kindes
Ein Blick mit Tiefenschärfe macht deutlich, dass die Abkehr von natürlichen Prinzipien und jahreszeitlichen Rhythmen sowie der missachtende Umgang mit natürlichen Ressourcen bittere Früchte für unsere Kinder tragen. Die veränderten Lebensbedingungen durch den Rückzug auf Innenräume, der Zugriff auf visuelle Medien, das veränderte Fortbewegungsverhalten durch Verkehrsmittel gehen einher mit einem Mangel an Bewegung und sinnlichen Eindrücken. Hierdurch bleiben den Kindern wichtige Erfahrungen für ihre weitere Entwicklung verwehrt.
Ein Beispiel für die Folgen der Zivilisation sind adipöse Kinder im Kindergartenalter. Das Phänomen der Überernährung rief erst kürzlich auch die Bundesgesundheitsministerin auf den Plan. Es wurde bundesweit in Schulen und Kindergärten ein „Fit-for-Kids“-Programm mit Ärzten und Sportlehrern gestartet, um auf die Bedeutung motorischer Fähigkeiten des Kindes als einer Säule für die weitere gesunde Entwicklung hinzuweisen.
Für die natürliche Entwicklung des Kindes ist es lebensnotwendig, Reize zu empfangen und sie mit allen Sinnen wahrzunehmen. Durch diese Stimulierung vernetzt sich das kindliche Gehirn. Es existieren so genannte Zeitfenster, in denen bestimmte Vernetzungen angebahnt werden sollten. Dabei gibt es in den ersten Lebensjahren eine Art inneren Fahrplan von den Nahsinnen wie Gleichgewicht, Tiefensinn, Fühlen, Schmecken, Riechen und Kraftdosierung zu den Fernsinnen wie Hören und Sehen.
Bestimmte Bewegungserfahrungen wie geschaukelt werden, sich aufrichten, krabbeln, laufen, klettern, springen sowie Erfahrungen im Raum, der Höhe, Tiefe und Weite sind für das Kind dringend notwendig. Diese müssen sie selbst erfahren, damit sich parallel darauf aufbauende Entwicklungsstufen wie Denken, Sprache und Sozialverhalten positiv entwickeln können. Je mehr Sinne dabei beteiligt sind, umso komplexer wird das Netz der „grauen Zellen“ im Gehirn ausgeprägt und damit eine gute Grundlage für die erfolgreiche Bewältigung der Anforderungen des Lebens gelegt.
Ein Erlebnis aus zweiter Hand durch visuelle Medien spricht nur vereinzelte Bereiche der Hirnrinde an und kann niemals ein wirkliches ersetzen. Erfahrungen in der Wirklichkeit hingegen zeichnen sich durch eine Vielzahl von Reizen aus, die, richtig dosiert, über die Sinne an das Gehirn geleitet und mit Bewegungen und Handlungen beantwortet werden.
Das Betrachten einer Blume am Wiesenrand ist ein Erlebnis, bei dem das Kind gleichzeitig die Umgebungsgeräusche wahrnimmt, den Duft erlebt, die Temperatur oder den Wind spürt, den Untergrund fühlt, sich auf diesem ausbalanciert, während es die Blume konzentriert betrachtet. Diese sinnlichen Eindrücke werden im Gehirn nach Wichtigkeit geordnet und ergeben ein Gesamtbild, welches das Kind als zusammengehörig erlebt und interpretiert. Diese komplexe eigene Erfahrung kann es später bei anderen Erlebnissen ganz oder teilweise wieder abrufen und sich auf diese Weise seine Umwelt aneignen. Das Erleben und Einordnen der sinnlichen Reize lässt beim Kind eine Sicherheit entstehen: Diese Phänomene meiner Umwelt gehören zusammen. Daher unterscheidet sich ein solches Erlebnis von dem Betrachten einer Wiesenblume auf einem Computer, da das Kind zwar auch hier konkrete Umweltreize aufnimmt, möglicherweise aber in einem geschlossenen Raum, in dem noch das Radio läuft und es nach Mittagessen riecht. Diese sinnlichen Eindrücke stimmen aber nicht mit den Umweltreizen im Zusammenhang der Wiesenblume überein. Das Kind lernt, Reize miteinander zu verknüpfen, die im natürlichen Zusammenhang nicht logisch zueinander gehören. Das schafft oft Verwirrung beim Abrufen von Informationen und damit Probleme bei der Reizverarbeitung.
Der Weg nach vorn – zurück zur Natur
Diese neurobiologischen Erkenntnisse mögen in unserem Medienzeitalter erstaunen, da hiernach die Bedingungen für eine gesunde Entwicklung von Kindern einfacher sind als uns Hersteller multimedialer interaktiver Lernspiele weismachen wollen. Für Kinder im Elementaralter ist es auch heute noch wichtig, in der Natur sinnliche Bewegungserfahrungen machen zu können. Hierzu benötigen sie weiterhin die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer sowie Menschen, die sich mit ihnen zusammen auf den Weg machen, ihre natürliche und kulturelle Umwelt kennen zu lernen. Die Reize visueller Medien gehören zur heutigen Kindheit. Dosiert genossen, können sie im späteren Schulalter aufgrund von Informationen aus realen Erlebnissen in früher Kindheit sinnvoll eingeordnet werden und dann Wissenszuwachs bringen.
Das Erobern von wirklichen Erfahrungsräumen statt „Verinselung“ in Innenräumen kann nachweislich den Schulerfolg unterstützen. Dies belegen vergleichende Studien über die Entwicklung von Kindern in Natur- und Waldkindergärten im Vergleich zu Kindern in Regelkindergärten. Die Ergebnisse sprechen für den Erfolg von Wald- und Naturkindergärten. Die Kinder waren in allen Bereichen den Kindern aus Regelkindergärten überlegen: Wahrnehmung, Motorik, Sozialverhalten, Sprache, Kreativität und mathematische Kenntnisse.
Unter anderem ist dieses auch auf das unbegrenzte Raumangebot in der Natur zurückzuführen. Es bietet ganzheitliche Erfahrungen für alle Sinne und genügend Möglichkeiten, dem natürlichen Bewegungsbedürfnis der Kinder entgegenzukommen. Zudem vermindert die Weite des Raumes Stress und Konflikte, da ja nicht um die Puppenecke gestritten werden muss, sondern einfach eine zweite ein paar Meter weiter geschaffen werden kann.
Durch mehrstündige Aufenthalte in der Natur bei jedem Wetter wird sowohl das Immunsystem der Kinder als auch ihr Durchhaltevermögen gestärkt. Die Orientierungsfähigkeit in Zeitabschnitten wird gefördert durch das Erleben rhythmischer Prinzipien wie die jahreszeitlichen Veränderungen in der Natur. Natürliche Rhythmen des Wachsen, Reifens und Vergehens können wahrgenommen und später auf andere Naturprozesse übertragen werden.
Über die Kinder wie über die kleinen Bäume im Walde geht der Sturm hinweg, der in den Kronen der alten braust und sie beugt und bricht. Wenn sie größer werden, wachsen sie in die Sturmschicht hinein, und ihre Wurzeln müssen kräftiger werden.
Otto Fürst von Bismarck
Eine weitere Besonderheit der Natur- und Waldpädagogik ist die Situationsorientierung durch die aktuellen Erlebnisse in der Natur. Ein toter Igel oder ein Vogel, der aus dem Nest gefallen ist, berührt die Kinder und gibt Anlass zu respekt- und achtungsvollem Umgang mit den Tieren. Gespräche über diese realen Ereignisse mit der Pädagogin oder dem Pädagogen helfen bei der emotionalen Verarbeitung und fördern im Dialog die Hypothesenbildung und Begriffsaneignung. Ohne vorgefertigtes Spielzeug werden die Kinder angeregt, mit Naturmaterialien selbsttätig kreativ zu sein. Die Eindrücke ihrer Umwelterfahrungen können sie so mit den in der Natur vorgefundenen Elementen zum Ausdruck bringen. Dieser Vorgang ist pures Lernen: Eigene Erfahrung wird aufgenommen und handelnd verändert ausgedrückt. Ist dieses nicht eine natur- und menschenwürdige Pädagogik, die wir uns für alle Kinder wünschen?
Doch was sollen Pädagoginnen und Pädagogen tun, wenn sie in ihren Einrichtungen ganz andere Bedingungen vorfinden? Dies zum Trost: Auch wenn kein Wald vor der Tür des Kindergartens steht, keine Wildblumenwiese um die Ecke erreichbar ist, kein entsiegelter Naturspielraum den Kindergarten umgibt, so ist es dennoch möglich, natur- und umweltpädagogisch zu arbeiten.
Auf dem Weg zur natürlichen Kultur
„Natur ist genauso ein Teil des Selbst, wie das Selbst ein Teil der Natur ist. Das heißt, Natur ist für uns Menschen nicht nur bedeutsam, weil wir selbst ein Teil der Natur sind, sondern auch, weil unsere Beziehung zur natürlichen Umgebung einen Teil unseres Selbst ausmacht.“ Gerd Schäfer, 1989
Heutzutage verfügen Pädagoginnen und Pädagogen über ein komplexes Fachwissen in Bezug auf die Erziehung und Bildung von Kindern. Sie haben einen hohen Kenntnisstand über die Zusammenhänge globaler Vernetzungen und deren Auswirkungen auf die Natur. In der zukunftsfähigen und nachhaltigen Bildung von Kindern kommt ihnen eine Schlüsselrolle zu.
Für künftige Generationen ist die Zukunft der Natur von entscheidender Bedeutung. Die Natur als Lebensgrundlage des Menschen ist ein unverzichtbarer Wert, den es zu achten und zu schützen gilt. Das Thema Natur darf aus diesen Gründen nicht zu einer Modeerscheinung verkommen. Es ist notwendig, schon im frühen Kindesalter eine zukunftsfähige Beziehung zur Natur aufzubauen.
Beim kleinen Kind liegt der Schwerpunkt der Beziehung zur Natur zunächst entwicklungspsychologisch auf der Ebene der sinnlichen Wahrnehmung und Empfindung. Durch die Sensibilisierung für Naturzusammenhänge und die Begeisterung für Naturphänomene wird die Neugier, etwas über die Natur zu erfahren, geweckt.
Das Spiel ist für Kinder die ihnen angemessene Art und Weise, sich Natur und Umwelt begreifbar zu machen. Spielerisch knüpft das Kind Beziehungen zu seiner Umwelt und seinen Mitmenschen. Daher ist es für Pädagoginnen und Pädagogen unerlässlich, altersgemäße Spiele und Spielmethoden zu finden, um Kindern die Natur nahe zu bringen. Spielen regt die gestaltenden, produktiven und nachahmenden Kräfte des Kindes an. In einer gesunden Umgebung leben Kinder im Elementaralter in spielerischen eigenschöpferischen Prozessen. Sie verarbeiten Beobachtetes und Erlebtes und setzen es um. Beispielsweise sprechen sie spontan mit Pflanzen und Tieren, da Kinder über ein magisches Denken verfügen und die Natur mit menschlichen Eigenschaften beseelen.
Ein in der Entwicklungsphase des Be-greifens und magischen Denkens erfahrenes Grundgefühl für Naturzusammenhänge kann die Basis für aktives eigenverantwortliches und mutiges Handeln in der Zukunft bilden. Damit wird für Kinder die Voraussetzung geschaffen, im späteren Schulalter kognitiv ausgerichtete Wissensinhalte über sozial-ökologische, wirtschaftliche und politische Themen sinnvoll miteinander zu verbinden und naturbewusst zu handeln.
Die von Naturthemen begeisterten Pädagoginnen und Pädagogen schaffen durch ihr Handeln somit die Voraussetzung, dass Kinder als Forscher in das spielerische Erleben eintauchen können. Sie verwandeln sich zum Beispiel in Bohnenprinzessinnen oder Regenwurmdetektive und können ihre Beobachtungen im Dialog mit den Pädagoginnen und Pädagogen in kleinen Spielgeschichten umsetzen. Durch diese spielerisch umgesetzte emotionale Komponente des Themas können sich die Wissensinhalte tief im Bewusstsein des Kindes verankern.

Die Natur hat den Keim für ein besseres Zusammenleben in unsere Herzen gelegt.

Condorcet 1743-1794

Literatur:
Gebhard, U.: Kind und Natur. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2001
Schäfer, G.E.: Spielphantasie und Spielumwelt: Spielen, Bilden und Gestalten als Prozesse zwischen Innen und Außen. Juventa Verlag, Weinheim und München 1989
Kalff, M. e.a.: Handbuch zur Natur- und Umweltpädagogik: Theoretische Grundlegung und praktische Anleitungen für ein tieferes Mitweltverständnis. Günter Albert Ulmer Verlag, Tuningen 1997
Meyer-Abich, K.M: Praktische Naturphilosophie. Erinnerungen an einen vergessenen Traum. Beck, München 1997
Schulte Ostermann, U., Jürgensen, S.: NaturSpielpädagogik Dokumentation des Modellprojektes. Natur Erleben, Kiel 2002
Häfner P.: Natur-Waldkindergärten in Deutschland – eine Alternative zum Regelkindergarten in der vorschulischen Erziehung. Diss. Universität Heidelberg, 2002
Ayres, A.J.: Bausteine der kindlichen Entwicklung. Springer, Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo 1984
Zinke-Wolter, P.: Spüren – Bewegen – Lernen. Borgmann, Dortmund 1992